Allerorten großes Lamentieren über das nachlassende Interesse deutscher Schüler an naturwissenschaftlichen Fächern. Deutschland geht anscheinend der naturwissenschaftlich-technische Nachwuchs aus.
Kommissionen werden gegründet. Fachreferate in Ministerien eingerichtet. Millionenschwere Förderprogramme aufgesetzt.
Aber ein über Mundpropaganda hinausgehender Erfolg will sich nicht einstellen. Im Vergleich zu den eingesetzten Mitteln sind die Veränderungen bisher eher bescheiden.
.
Eine Geschichte aus dem realen Leben
… bringt uns vielleicht ein stück weit auf die Spur, woran es (auch) scheitern könnte …
Ich kenne eine junge Dame, an der Oberstufe eines deutschen Gymnasiums. Diese Schülerin zeigt ausgesprochene Stärken und Begabungen in Sprachen, in Kreativität, im Umgang mit Menschen.
Mit den naturwissenschaftlichen Fächern hatte sie dagegen immer eher zu kämpfen. Aber sie ist motiviert, neugierig, offen und leistungsbereit.
Als eine thematische Facharbeit ansteht, wählt sie das Fach Biologie. Sie entscheidet sich bewusst nicht wie viele ihrer Mitschüler für ein leichteres Fach, in welchem sie eine gute Note sicher hätte. Obwohl sie weiß, dass die Biologie nicht ihre Stärke ist, sieht sie die Möglichkeit, über die Facharbeit ihre Note im Fach zu verbessern. Meiner Meinung nach ein kluger und guter Ansatz.
Sie kniet sich voll rein. Sie sucht sich ein nicht einfaches Thema aus dem Bereich aktuelle medizinische Innovation aus und holt sich das Einverständnis ihres Lehrers. Sie recherchiert, trägt Informationen aus zahlreichen Quellen zusammen und versucht das wissenschaftlich komplexe Thema inhaltlich zu erfassen. Sie holt sich Feedback und diskutiert mit einem verwandten Biologen. Schließlich verfasst eigenständig und mit viel Aufwand einen ausgesprochen soliden Text. Das Ergebnis ist eine Facharbeit, die in Form und Inhalt den Vergleich mit anderen nicht zu scheuen braucht, und die bezüglich Aufwand, inhaltlicher Substanz und Präsentation überdurchschnittlich ist.
So weit so gut.
Die Schülerin gibt die Facharbeit ab und wartet gespannt auf das Feedback ihres Biologielehrers.
Dieser gibt ihr einige Zeit später die Arbeit mit einer eher mittelmäßigen Note zurück, sagen wir beispielsweise 9 Punkten (eine ‚3+‘ für Menschen meiner Generation). Begründung (ich erlaube mir, in meinen Worten zusammenzufassen): 1. etwas zu lang und zu viel, 2. das Quellenverzeichnis ist nicht richtig formatiert.
… … …
Die junge Dame ist nachvollziehbar enttäuscht. Im Gespräch mit ihren Mitschülern erkennen diese außerdem, dass der Biologielehrer offensichtlich keiner Facharbeit mehr als „befriedigend“ gab, während die Facharbeiten beispielsweise im Fach Religion fast durchgehend mit „sehr gut“ bewertet wurden.
Nun: finde den Fehler!
.
Ich habe keine Ahnung, was den Biologielehrer in unserer Geschichte antrieb. Ich kann nur spekulieren.
- Vielleicht erkannte er die besondere Situation nicht, die einmalige Chance die naturwissenschaftliche Neugier einer Schülerin zu wecken und zu fördern?
- Vielleicht hat er ein überzogenes wenn nicht überhebliches Verständnis von der angeblichen Höherwertigkeit der Naturwissenschaften gegenüber anderen Fächern?
- Vielleicht will er sich durch ‚höhere‘ Qualitätserwartungen und strengere Bewertung im Kollegium abgrenzen?
- Vielleicht will er nur aus seiner Sicht geeignete Schüler für die Naturwissenschaft selektieren?
- Vielleicht dachte er, dass eine im Fach sonst eher schwächere Schülerin eine solche Facharbeit nicht ohne fremde Hilfe oder Abkupfern schreiben konnte (ohne es allerdings ernsthaft zu prüfen)?
- Vielleicht war er auch selber mit dem recht innovativen Thema der Facharbeit inhaltlich überfordert?
Doch was auch immer meiner Vorstellungskraft einfallen will, ich komme immer zu dem einen Schluss: der Mann ist für den Job ungeeignet.
.
Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass das Interesse von Schülern an naturwissenschaftlichen Themen vor allem von Lehrern geweckt wird, denen es gelingt, ihre Schüler mitzureißen, zu begeistern und zu motivieren. Bei mir selber war es einst so.
Lehrer wie dieser richten mehr Schaden für die Lust der Schüler an den Naturwissenschaften an, als es alle Fördergelder und -programme jemals kompensieren könnten.
.
.